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Versuchsanordnung

Der Text ist Teil einer Serie: Jeweils eine Stunde lang sitzt Ralf Birke auf seinem roten Stuhl an einem selbst gewählten Ort – und schreibt. Die dabei entstehende Geschichte bleibt in einer Fassung in der völlig unangetasteten Urform; der hier zu lesende Text wurde vom Autor nur geringfügig bearbeitet. Das Arbeitszimmer von Ben Förtsch erwies sich als harter Brocken. Bis es seine Geheimnisse preisgab, dauerte es sehr lang. Auch eine Erkenntnis: Um Show geht es Ben Förtsch ganz sicher nicht.

Er sagt, er hätte gerne noch weiter aufgeräumt. Ich bin froh, dass er es nicht getan hat. Dieser Raum wirkt wie eine Mischung aus provisorischem Büro, Werkstatt und Lagerraum, nicht wie die typische Schaltzentrale eines Wirtschaftsunternehmens. Das bisschen Unordnung ist ihm unangenehm. Für mich gibt es viel zu sehen. Draußen an der Tür zeugt eine bronzene „14“ davon, dass auch hier mal ein Gästezimmer war. Oder immer schon die Verwaltung, gut versteckt?

Gut versteckt ist auch das Hotel. So hinten drin, im Schatten des Elektrokonzerns. Ein paar enge, zugeparkte Straßen weg vom Mainstream. Der Bus hält weiter vorn. Doch das Hotel Luise gibt es vor allem wegen dieser Lage. Ein Sprung vom Schreibtisch ins Hotelbett – und retour. Effizient. Aber er ist nicht zufrieden damit. Sein Vater ist es auch nicht. Auf ihn geht es zurück, dass aus dem „Gästehaus“ für Ingenieure, das die Großmutter einst gegründet hat, ein „Creativhotel“ geworden ist. Nachhaltig, umweltfreundlich, energieeffizient.
Den Schreibtisch bildet gerade eine überdimensionierte Platte aus dem Material, das an der Decke der neuen Zimmer angebracht wird. Sieht aus wie Holz, ist aber Stroh. Man kann es riechen, wenn man es weiß. Creativhotel.

Hinter dem schwarzen, völlig unverdächtigen und angepassten Chefsessel ein Bild aus grünen Bewegungsmustern. Leistungskurs, Abschlussarbeit. Es ist nicht ganz fertig, „aber es hat mir so besser gefallen“. In diesem Zimmer steht vieles auf Aufbruch, auf Neuanfang. Auf Reset. Nur zwei Meter vom Schreibtisch entfernt zwei Quadratmeter Ideen. Zeitungsartikel, Fotos, Auszeichnungen, Bilder. Alles. Gartenfieber, Spektakulär Superior, Hotel Inspiration, Bienenpatenschaft, Urban Jungle, 360° Ruhepol, GreenERlangen, Massivholz, Die Plastik-Plage. Ein Wort- und Bildgewitter. Zum Teil schon vergilbt, zum Teil immer wieder neu plakatiert. Wie zum Trotz. Dazwischen ein kleines Fenster mit Blick auf die Rezeption. Darin auch eine Skulptur, offensichtlich eine Auszeichnung, mit zwei Händen eine Kugel tragend. Ganz sicher die Welt. Er sagt, sie sei in 3D aus flüssigem Holz gedruckt worden. Sachen gibt’s.

Geht so Hotel?

Noch dazu ein Hotel, in dem man zwar überall, wirklich: überall, die Spuren des Ringens um die sogenannte Nachhaltigkeit sieht und spürt. Offenbar. Sicher ist: Das ist erst der Anfang, die Fortsetzung des Werks der zweiten Generation mit den Mitteln des Sohns, der sehr früh auf diesen schwarzen Bürosessel musste. Ein Zimmer mit Aussicht auf den ökologisch angelegten Garten, eingekesselt von den Mehrfamilienblocks, die hier für die Ingenieure und deren Kollegen entstanden sind, die nicht ins Hotel müssen. Jedenfalls nicht in Erlangen.
Wie kann man hier solche Ideen haben? Visionen brauchen hier eine monströse Fantasie, ein großes Herz und unanfechtbare Überzeugung. Die bessere Welt beginnt hier als Sammelsurium aus Büromöbeln und guten Absichten auf zwei Quadratmetern mit Zeitungsartikeln, Memos, Fotografien und allem, was beim Sturm auf die Gleichgültigkeit der Draußenwelt Munition liefern könnte. Wenn Ben Förtsch an seinem Schreibtisch sitzt, endet sein Blick nach weniger als zwei Metern auf dieser Wand aus seinen eigenen Devotionalien.

Sie lassen nicht locker mit ihrem dauernden Zwiespalt aus Wunsch und Wirklichkeit. Was geht? Was geht nicht? Wie hätten es die Eltern gemacht? Was machen andere? Was machen Menschen, die kein Hotel besitzen? Wie geht es weiter? Wie geht es anders?
Es ist eine Wand voller Chancen. Voller Möglichkeiten. Irgendwo geht schon was, wenn man es nur will und wenn man auf das riesengroße Mut-Board aus guten Beispielen schaut. Vorangehen, den Weg erkunden. Etwas riskieren. Belohnt werden wollen für die gute Tat. Denn sie alle wollen bezahlt werden, die hier arbeiten. In Festanstellung und nicht irgendwo hingerechnet zwischen Mindestlohn und dehnbaren Finanzjonglagen. Ein festes Team. Auch das ist nachhaltig.

 

Luise, ein Klimaschutzunternehmen

Neben den Moods drei alte Schwarzweiß- Aufnahmen. Eine Postkarte, gerahmt. Darauf eine Frau in antiquiertem Swimsuit, die vor einem sehr erstaunt dreinblickenden kleinen Mädchen einen ziemlich guten Kopfstand macht. Daneben ein Liegestuhl in Plastikdraht-Optik. Das hat man heute wieder. Und dann noch das Foto einer Faschingsgesellschaft. So wunderbar typisch aus den 1960er-Jahren. Brav und zivil verkleidet, alle schauen sie in die Kamera. Analog und schwarzweiß und genau in diesem Moment. Die vierte von links oder doch die sechste: Das ist Uroma Luise.

Sie gab dem Hotel ihren Namen. Durchaus goldene Zeiten, in denen man mit schlanken Weinflaschen, penibel aufgedrängten Untersetzern, weißem Tischtuch und dünnwandigen, kurzfüßigen Gläsern in Stimmung geriet. Auf dem Kopf einen Fes, einen Strohhut oder ein kühn geknotetes Tuch. Ein lustiges Hütchen, eine Blume im Haar. Es sind nur zehn Zentimeter von dieser Zeit zur Urkunde der IHK mit ihren vier wichtigen Unterschriften. Hier bezeugen auch Bundesminister wie Sigmar Gabriel und Barbara Hendricks: Die Hotel Luise GmbH ist ein Klimaschutzunternehmen. URKUNDE! Für herausragende Klimaschutz- und Energieeffizienzmaßnahmen.

Zwei Zeiten, ein Hotel. Was daraus wird, kann auch dieser Raum nicht beantworten. Er ist die Versuchsanordnung für die Zukunft. Ausdruck von kreativer Entschlossenheit und unbändiger Überzeugung. Zwei kleine alte Koffer stehen da. Als Symbol für eine große Reise mit sehr leichtem Gepäck? Und ein ziemlich großes Ölgemälde. Von der Oma. Ein Bergmassiv in strahlendem Weiß auf dem Gipfel und ansonsten ziemlich grau. Der Hotelchef restauriert es. Den Gipfel hat er schon freigelegt und zum Leuchten gebracht. Da wird etwas sichtbar. Er kann es. Er will es. Woher nimmt er diese Energie?

Neben der Tür stehen typische Gastrokartons mit der Aufschrift: Vorsicht Glas. FRAGILE. Die ganze Programmatik, das komplette Problem als Summary auf einem schmucklosen Karton. Auch keine Lösung. Wenn ich hier raus bin, wird er hier wieder Pläne schmieden, die Welt besser machen, indem er dieses Hotel besser macht. Schritt für Schritt. Zimmer für Zimmer. Hoffentlich wird das honoriert. Hoffentlich kann er die Menschen für eine Sache begeistern, die wohl unsere letzte Chance ist.

Eine Decke aus Stroh als Schreibtisch. Als Unterlage für den Zukunftsentwurf. Ich wünsche ihm, dass er so gut schläft wie seine Gäste hier.

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